Im Gespräch mit Liane Kirchhoff

Liane Kirchhoff ist Theaterpädagogin und seit 2007 bei der theaterpädagogischen werkstatt (tpw) und im theaterpädagogischen zentrum (tpz) in Osnabrück.

Theatrale Arbeit besteht zu einem ganz hohen Maß aus Nähe, Kontakt, Emotionen und physischen Interaktionen. Wie haben sich die Hygienemaßnahmen in der Corona-Pandemie auf eure Arbeit mit Jugendlichen – sofern kulturelle Jugendarbeit erlaubt war – ausgewirkt? In welcher Form habt ihr gearbeitet? Was musstet ihr euch neu aneignen?
Wir haben viele Projekte in digitale Formate umgewandelt. Zunächst war es sehr schwer, den Kontakt zu den Jugendlichen und Kindern aufzubauen, bzw. zu reaktivieren. Sowohl bei uns in der tpw als auch bei den Teilnehmer:innen musste erst die Infrastruktur und die Technik eingerichtet werden. Danach haben wir mit verschiedenen Tools experimentiert und erste Erfahrungen gemacht.
Bei der Durchführung der Zoomkonferenzen fehlte uns insbesondere die Rückmeldung, die wir Anleitenden in den Proben über die Körpersprache, Mimik und Gestik in Präsenz erhalten. Wir haben uns sehr darauf verlassen, dass die Teilnehmer:innen sich auch vor der Kamera äußern und uns mitteilen, was sie bewegt, wie es ihnen geht. Bei den inklusiven Gruppen war ein hohes Maß an Geduld und Ausdauer erforderlich, um überhaupt mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Die Einrichtung der Technik war sehr herausfordernd und nur mit Unterstützung von Eltern oder Betreuer:innen möglich.
Dennoch war nach Überwindung vieler verschiedener Herausforderungen die Probenarbeit digital möglich. Wir haben mit der Zeit mehr Routine in der digitalen Theaterarbeit bekommen und konnten viele Übungen digital zunächst ausprobieren und dann gewinnbringend in neue Formate umwandeln. Insgesamt es war sehr erstaunlich, dass sich die Teilnehmer:innen auf viele Spielimpulse auch vor dem Computer eingelassen haben. Wer hätte gedacht, dass wir mal vor dem Computer im eigenen Wohnzimmer tanzen?
Letztendlich sind wir bei der Szenenarbeit im Zoom sehr stark an Grenzen gestoßen. Das aufeinander Reagieren, die Textarbeit im Team, die Figurenarbeit waren in der digitalen Arbeit nicht oder nur schwerlich möglich. Deshalb waren viele Workshopleitende sehr froh, dass seit einigen Wochen wieder Präsenzproben möglich sind und wir viele Projekte in diesem Halbjahr in Präsenz abschließen konnten.

Insgesamt haben wir unsere Probenarbeit komplett umstellen und immer wieder den Bedingungen anpassen müssen. Kein Projekt konnte unter geplanten Bedingungen weitergeführt werden. Es erforderte ein hohes Maß an Flexibilität und zusätzlicher Absprachen. Viele Formate wurden von den Kolleg:innen durchgeführt, obwohl eine Fortbildung in der Umsetzung von digitalen Methoden erst einmal fehlte. Die Theaterpädagog:innen haben sich sozusagen aufs Glatteis bewegt und sehr kreativ reagiert, sich selbst in Eigenregie viele neue Umsetzungsmethoden angeeignet und sich im Projektverlauf immer wieder neu orientiert. Eine wahnsinnige Leistung, die für alle Theaterpädagog:innen sehr kräftezehrend war.

Die Ergebnisse der Kurse und Projekte sind vielfältig. Neben einigen Bilderbüchern sind tolle Filme und andere neuartige Formate entstanden. Diese vielfältigen Ergebnisse machen uns stolz und gleichzeitig neugierig.

In vielen Projekten, wie z.B. „Die Schönheit der Zukunft“ oder auch in den K3-Gruppen arbeitet ihr über ein Jahr mit den gleichen Jugendlichen. Welche Beobachtungen habt ihr im Lauf des letzten Jahres gemacht? Haben sich die Teilnehmer:innen verändert? Und falls ja: Wie hat sich das auf eure Arbeit ausgewirkt?
Besonders in der ersten Zeit haben wir einige Jugendliche aus verschiedenen Kursen verloren. Insbesondere die Schulgruppen waren durch uns nicht erreichbar, da keine Emailadressen vorhanden waren und uns ein Kontakt in Präsenz verwehrt wurde. Die zuständigen Lehrer:innen hatten keine oder wenig Kapazitäten, uns bei der Kontaktaufnahme zu den Schüler:innen zu unterstützen.
In den Projekten mit jüngeren Kindern oder bei den inklusiven Gruppen hing es sehr stark davon ab, welche Kontaktpersonen uns bei der Einrichtung der Technik unterstützend zur Seite stehen stand.
Die Bereitschaft uns zu unterstützen hing von vielen Faktoren ab, die von uns aus schwer beeinflussbar waren: Gibt es einen stabilen Internetzugang? Sind technische Geräte vorhanden? Kann die Betreuungsperson zugegen sein und helfend zur Seite sehen?

Für uns kamen dadurch viele zusätzliche Aufgaben auf uns zu. Neben der Anschaffung von technischen Geräten haben wir Eltern oder Betreuungspersonen in die Technik eingewiesen und immer wieder erklärt, was wir vorhaben und wie wir die Projekte weiter führen wollen. Es war ein hohes Maß an zusätzlicher Kommunikation erforderlich, um die Probleme zu erkennen und sie ausgleichen zu können.
Bei den Grundschulen funktionieren die digitalen Angebote erst seit einigen Wochen, da das entsprechende digitale System (Iserv) erst jetzt für außerschulische Angebote freigeschaltet werden konnte.
Bei der Beteiligung in den Gruppen gab es neben den Verlusten auch viele positive Überraschungen. Es haben Teilnehmende und ganze Gruppen durchgehalten, obwohl wir Anleitenden mit einem Ausstieg aus der Theaterarbeit unter diesen neuen Voraussetzungen stark gerechnet haben.
Insgesamt war die digitale Arbeit als Theaterpädagog:in ein großes Experimentierfeld. Wir haben alle über unsere zeitlichen und menschlichen Ressourcen hinaus agiert. Dabei sind tolle neue Erkenntnisse entdeckt worden, die nun hoffentlich mit etwas mehr Ruhe in die zukünftige Arbeit einfließen können.

Zu den Teilnehmenden ist zu sagen, dass wir sehr intensive Kontakte in den Videokonferenzen hatten. Sowohl die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, aber auch die Eltern, haben sich uns gegenüber sehr offen gezeigt und über ihre Nöte, Sorgen und Ängste gesprochen. Eine Videokonferenz im März mit Jugendlichen war für mich nachhaltig beeindruckend, da die jungen Menschen sich mir gegenüber sehr erschöpft und hoffnungslos äußerten. Viele Teilnehmende berichteten, wie ausgelaugt und müde sie von den vielen digitalen Konferenzen der Schule waren. Die meisten haben sich mit den vielen Aufgaben aus der Schule überlastet gefühlt und wirkten richtig verzweifelt. Es war für uns schwer auszuhalten, da wir keinen Einfluss auf die Situation nehmen konnten. Umso beeindruckender war, dass sie sich uns gegenüber so selbstverständlich geöffnet haben und damit einen Weg für sich fanden, über die bedrückende Situation zu sprechen. Es hat gut getan, den Jugendlichen Mut zuzusprechen und uns deutlich gemacht, wie wichtig außerschulische Partner für die jungen Menschen sind.

Im Anschluss an das Projekt „Die geheimen Gärten“, aber auch im Zuge von „Die Schönheit der Zukunft“ habt ihr dokumentarische Momentaufnahmen zur Auseinandersetzung mit der Pandemie-Situation festgehalten. Was waren darin die eindrücklichsten Erfahrungen?
Die Einzelbegegnungen zu den Teilnehmer:innen, die in den Interviewsituationen von Filmprojekten „Was bleibt?“ und im Interviewfilm von „Die Schönheit der Zukunft“ stattfanden, waren alle sehr intensiv. Es haben sich sehr persönliche Gespräche ergeben, die über den professionellen Kontakt hinausgingen. Viele Kinder und Jugendlichen haben auch in dieser künstlerischen Begegnung über ihre Sorgen und Nöte gesprochen und waren froh, dass sie durch uns die Möglichkeit hatten, ihre persönliche Situation zu reflektieren und darüber in den Austausch zu kommen. Die Erfahrungen der Distanz und Kontakteinschränkungen wird unsere Gesellschaft nachhaltig beeinflussen. Die Möglichkeit über die Erfahrungen zu sprechen und diese ggf. künstlerisch zu bearbeiten, schafft einen Raum zur Reflektion und Auswertung, die nicht zu unterschätzen ist.

Aktuell arbeitet ihr an einem Resilienz-Projekt. Welche Fragestellung wird hier im Fokus stehen?
Welche Langzeitfolgen nach den Umständen der Pandemie noch sichtbar werden und wie die physische und psychische Gesundheit bei den Kindern und Jugendlichen wirklich sein wird, ist z. Zt. noch nicht absehbar. Entstandene Defizite in der Entwicklung junger Menschen bedürfen einer Thematisierung und Aufarbeitung in und nach der Pandemie und stehen deshalb im Fokus unseres weiteren Tuns.
Ein Kreativprojekt zu gestalten, durch das Kinder und Jugendliche und deren Lehrkräfte den Blick auf ihre Stärken und Fähigkeiten richten können, scheint von daher ein guter nächster Schritt, zur Verarbeitung der Krise.
Resilienz ist die innere Widerstandskraft des Menschen. Diese Fähigkeit lässt sich ein Leben lang stärken und trainieren. Allerdings kann sie auch schon als Kind erworben werden. Im Resilienzprojekt geht es darum, was die Widerstandskraft im Kindesalter bedeutet und wie wir Resilienz bei Kindern stärken können.

Welche Erkenntnisse nehmt ihr mit aus dem Pandemiejahr? Werden sie eure Arbeit verändern?
Wir sind es in unserer Arbeit gewohnt, mit neuen Methoden und Ideen auf verschiedene Situationen zu reagieren. Dennoch ist die Pandemie eine krasse Situation gewesen, die wir nicht einschätzen konnten. Im kreativen Tun war es gut und für uns bestärkend, dass wir trotz herausfordernder Umstände weiterhin kreative Antworten und Lösungen finden konnten. Das gibt insgesamt ein gutes Gefühl. Zudem sind uns aber auch die großen Lücken im Umgang mit digitalen Methoden aufgefallen. Den Überforderungssituationen, die wir erlebt haben, möchten wir in Zukunft mit weiteren Fortbildungen und wissensbasierten Erfahrungen entgegentreten. Das braucht noch Zeit und Ruhe, um die Erkenntnisse n einzufangen und auch für andere nutzbar zu machen.

Die Zeit hat auch jedoch auch gezeigt, dass es schwer ist, wirklich alle Menschen, Kinder und Jugendlichen zu erreichen und sie entsprechend mitzunehmen. Wir machen uns große Sorgen um die Kinder und Jugendlichen, die wir durch unsere Angebote nicht gewinnen konnten. Zudem haben wir teilweise besorgniserregende Begegnungen erlebt oder sind auf Kinder gestoßen, die ihre Aufgaben beispielsweise mit dem Handy der Mutter erledigen mussten. Auch diesen Missständen konnten wir manchmal wenig entgegenwirken.

In den Kursen, die zum Ende des Schuljahres wieder in Präsenz stattfinden konnten, haben wir unglaublich bewegende und berührende Momente erlebt. Die Freude, wieder etwas gemeinsam gestalten zu können, war und ist in allen Kursen und Angeboten sehr groß. Die Begegnungen sind intensiver geworden. Es wird stark wertgeschätzt, dass ein Kontakt in Präsenz möglich ist. Die Aussage einer Teilneher:in, dass die wöchentlich stattfindende Probe sie über „die Zeit der Distanz“ gerettet hat, wird mir noch länger in den Ohren klingen.

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